Worum geht es heute?

Im letzten „Einfach bessere Fotos“-Beitrag habe ich euch erzählt, wie man mit der Hilfe von Rahmen ganz leicht den Blick auf das Hauptmotiv lenken und es somit hervorheben kann. Mit dieser Technik kann man den Betrachter mehr oder weniger subtil lenken und im Bild halten. Heute geht es um die Platzierung des eigentlichen Motivs im Rahmen. Ich möchte euch hierfür eine Regel der Bildgestaltung näher bringen, von dern ihr ganz bestimmt schon gehört habt: der goldene Schnitt. Ich möchte euch erklären, was das ist, was der goldene Schnitt mit der Drittelregelung zu tun hat und anhand von Beispielen die Anwendung und Wirkung auf den Betrachter zeigen.
Am Ende des Beitrags möchte ich euch dann auch noch zeigen, warum es sinnvoll ist, die Gestaltungsregeln auch manchmal zu brechen.

Was ist der goldene Schnitt?

Laut Definition ist der goldene Schnitt das Teilungsverhältnis einer Strecke. Zwei Teilstrecken befinden sich dann im goldenen Schnitt (oder Verhältnis), wenn das Verhältnis des größeren zum kleineren Teil dem Verhältnis der Summe der Teile zum größeren Teil der Strecke entspricht. Die Definition liest sich ein wenig holprig – in einfachen Zahlen ausgedrückt, stehen zwei Strecken im goldenen Verhältnis zueinander, wenn die längere Teilstrecke etwa 1,618x so groß ist, wie die kürzere.
Für mich war und ist der goldene Schnitt schon immer ein unglaublich spannendes Thema gewesen. Man findet überall in der Natur Formen und Figuren, die diesem Verhältnis entsprechen. Zum Beispiel ordnen viele Pflanzen ihre Blätter und Blütenstände im „goldenen Winkel“ zueinander an, um alle Blätter optimal mit Sonnenlicht und Luft zu versorgen. Auch sonst findet man viele Anordnungen anhand des goldenen Winkels, zum Beispiel bei Tannenzapfen oder Sonnenblumen oder auch im Tierreich bei Schneckenhäusern.

der goldene Schnitt | Einfach bessere Fotos machen | Sarah Koutnik Fotografie | gratis Fotokurs

Quelle: https://www.researchgate.net/figure/The-Golden-Ratio-in-nature_fig21_303587913

Der goldene Schnitt und der Mensch

Diesem goldenen Verhältnis wird eine besondere Ästhetik nachgesagt. Angeblich sehen wir Formen, die in diesem Verhältnis stehen, als besonders schön an – hierzu fehlen allerdings fundierte Belege.
Nicht abstreitbar ist jedoch, dass der goldene Schnitt die Menschheit schon seit Jahrhunderten beschäftigt – sei es nun in Form von mathematischen Problemen oder in der Architektur und eben auch der Kunst. Die Vereinbarkeit von Asymmetrie und Symmetrie ist es wohl, was den goldenen Schnitt für uns so ansprechend macht und einen Eindruck von Harmonie im Chaos vermittelt.

Maler und auch Fotografen nutzen diese beinahe schon beruhigende Wirkung dieses goldenen (früher auch oft „göttlichen“) Verhältnisses schon seit langer Zeit. Schon Leonardo da Vinci erwähnt in seinen Aufzeichnungen dieses harmonische Verhältnis. Seine Mona Lisa zeigt die Anwendung des goldenen Schnitts, allerdings geht aus seinen Aufzeichnungen nicht hervor, ob er diese Technik wissentlich angewandt hat oder es sich durch Zufall und durch sein Empfinden von Harmonie ergeben hat. Auch Salvador Dalí wandte diese Technik in einigen seiner Malereien an.

Und was hat der goldene Schnitt mit der Drittelregel zu tun?

Es ist oft nicht ganz so einfach, das Verhältnis von 1:1,618… genau zu treffen.
In der Kunst nutzt man daher gerne die Drittelregel, die als Annäherung an den goldenen Schnitt auch sehr gut funktioniert und mit einfachsten Mitteln zu ansprechenden Fotos führt.
Für die Drittelregel teilt man die Leinwand* in 9 gleich große Quadrate. Dies setzt man um, indem man zwei waagrechte und zwei senkrechte Linien über seine Leinwand legt, in etwa so:

Drittelregel | goldener Schnitt

Bei manchen Kameras lässt sich dieses Raster auch schon über den Sucher oder das Display einblenden, somit kann man schon während der Aufnahme damit arbeiten. Fragt dafür einfach eure Bedienungsanleitung (oder ihr macht es so, wie ich es tun würde: ohne nachzusehen das Menü wie wild durchsuchen).

Die Anwendung der Drittelregel

Wie wird diese Drittelregel nun also angewandt?
Wenn ihr zum Beispiel Landschaftsbilder macht, dann könnt ihr euren Horizont anhand der Linien ausrichten. 2/3 Landschaft zu 1/3 Himmel (oder umgekehrt, je nachdem, worauf ihr euren Fokus legen wollt), lassen das Bild spannender erscheinen, als eine 50:50 Teilung von Himmel zu Landschaft.
Möchtet ihr nun noch einen Blickfang in eurem Bild mit aufnehmen, wie etwa einen einzelnen Baum, einen Stein oder ein anderes Element, das den Blick auf sich zieht, so bietet es sich an, diesen mit den vertikalen Linien links oder rechts der Mitte zu positionieren. Dadurch lasst ihr dem Bild „Raum zum Atmen“ und dem Betrachter die Möglichkeit, seinen Blick ausgehend vom Hauptmotiv schweifen zu lassen.

Anhand dieses Rasters können alle Elemente und/oder Linien im Bild zueinander angeordnet werden. Fotografiert ihr nun Personen oder Tiere, so sieht es am harmonischsten aus, wenn ihr Augen an Kreuzungspunkten von Linien ausrichtet.
Bilder sagen mehr als tausend Worte, deshalb gibt es für euch jetzt ein paar Beispiele mit über das Foto gelegtem Raster.

 

Der goldene Schnitt – nicht immer so golden

Wie zu Beginn angekündigt, möchte ich euch jetzt noch zeigen, wann es richtig ist, die „Regel“ des goldenen Schnittes zu brechen. Die Frage, warum ich erst lang und breit den Sinn und die Anwendung des goldenen Schnittes erkläre, nur um am Ende dann zu sagen, dass man die Regel auch brechen kann (und nicht nur kann, sondern auch sollte!), will ich aber zuvor noch beantworten.
Wenn ihr euch bisher noch gar keinen Gedanken um die Anordnung eurer Motive im Rahmen gemacht habt, dann ist es wichtig und richtig, zunächst zu lernen, die Drittelregel anzuwenden. Erst wenn ihr versteht, welchen Einfluss eine Platzierung an einer bestimmten Stelle im Bild hat, ist es sinnvoll, sich damit zu beschäftigen, welche Aussage mein Bild bekommt, wenn ich meine Motive nicht anhand dieser Regeln platziere.

Viele Anfänger setzen ihr Hauptmotiv „aus dem Bauch heraus“ gerne ganz genau mittig ins Bild. Oft wirken diese Bilder dann ein wenig langweilig, der Blick des Betrachters kann schnell das Foto an den Rändern verlassen. Ihm wird weder Platz gelassen, das Bild zu erkunden, noch wird der Blick in eine Richtung gelenkt. Außerdem sieht man diese Fotos mit mittig platzierten Motiven sehr häufig, was sie noch ein wenig uninteressanter werden lässt.
Richtig eingesetzt kann aber auch ein mittiges Hauptmotiv spannend wirken. Ich kann damit die Bildaussage verstärken und sehr deutlich machen, worum es in diesem Foto geht und wo bitte hinzusehen ist. Kombiniere ich das dann vielleicht noch mit einem Rahmen und starken Führungslinien, kann ein sehr spannendes, fokussiertes Bild das Ergebnis sein.

Marie und Fjordstute Bella | gratis Fotokurs Motive einrahmen | Pferdefotografie München | Sarah Koutnik Fotografie
Hier ist das Motiv zwar nicht komplett Mittig platziert, aber immerhin auf der waagrechten Ebene in der Mitte. Der Rahmen und die Spirale im Hintergrund unterstützen die Bildaussage noch einmal und konzentrieren den Blick absolut auf die Mitte.

Islandpferd Wallach Kajrkur | Pferdefotoshooting | Sarah Koutnik Fotografie | Pferdefotografie München

Auch hier liegt das Auge ziemlich genau in der Mitte des Fotos. Durch die geschwungene Hals- und Rückenlinie wird der Blick des Betrachters sehr stark in Richtung Auge geleitet.

 

Alternativ kann ein Motiv auch sehr weit an den Rand des Fotos wandern. Unbedacht eingesetzt wirkt das schnell eingequetscht oder schnappschussartig, aber auch hier kann ich meine Bildaussage verstärken. Wenn ich Dinge aus dem Bild hinaus oder hinein laufen lasse, um den Eindruck von Schnelligkeit zu vermitteln. Außerdem kann ein an den Rand gesetztes Hauptmotiv den Platz für interessante Nebenmotive schaffen bzw. den Blick auf den Hintergrund und eventuelle spannende Texturen lenken. Gepaart mit Führungslinien und Farben können auch hier wieder ganz interessante Fotos entstehen.

Der goldene Schnitt | Beispielfoto brechen der Regel

Hier „klebt“ das Hauptmotiv, der Pinguin, stark am oberen Rand, gibt aber dadurch den Blick auf das Nebenmotiv, die Spiegelung der staunenden Besucherin, erst frei.

Egal wie ihr diese Regel brecht oder verbiegt, wichtig ist hier immer, dass ihr euch darüber im klaren seid, was ihr aussagen wollt und wie ihr die Wirkung unterstreichen könnt.
Ohne Inhalt ist ein Foto nur ein Foto.

Spielen, ausprobieren, lernen

Nun seid ihr wieder an der Reihe!
Lesen alleine reicht nicht aus, um gelerntes zu festigen. Zieht mit eurer Kamera los und versucht, den goldenen Schnitt in der Natur zu finden. Sucht nach goldenen Winkeln und Spiralen (klingt ja fast schon wie der Aufruf zu einer Schatzsuche: findet das Gold!). Probiert euch aus, versucht, die Drittelregel anzuwenden oder die Regeln zu brechen. Vor allem aber: spielt mit euren Bildelementen und habt Spaß dabei!

Wie immer freue ich mich, wenn ihr mir eure Ergebnisse zukommen lasst. Gerne gebe ich euch Feedback, Hinweise und konstruktive Kritik.

Links für Interessierte

Hier dreht sich alles um die goldene Zahl: Goldennumber.net

Der Zusammenhang zwischen goldenem Schnitt und Fibonacci-Zahlen schön und einfach erklärt

 

*Ich spreche auch in der Fotografie gerne von Leinwand. Ich habe für mich gemerkt, dass ich dann beim Blick durch den Sucher all den Dingen, die sich innerhalb meines Rahmens, also auf meiner Leinwand, befinden, nocheinmal mehr Aufmerksamkeit und Respekt schenke. Aber darüber werde ich ein einem eigenen Beitrag, in dem es um achtsame Fotografie gehen wird, schreiben.